von Ewald Rumpf am 7. Juni 2009 in der Karlskirche zu Kassel
Psalm 36
1 Ein Psalm Davids, des Herrn Knechts, vorzusingen. Es ist von Grund meines Herzens von der Gottlosen Wesen gesprochen, dass keine Gottesfurcht bei ihnen ist.
2 Sie schmücken sich untereinander selbst, dass sie ihre böse Sache fördern und andere verunglimpfen.
3 Alle ihre Lehre ist schädlich und erlogen; sie lassen sich auch nicht weisen, dass sie Gutes täten,
4 sondern sie trachten auf ihrem Lager nach Schaden und stehen fest auf dem bösen Wege und scheuen kein Arges.
5 Herr, deine Güte reicht, soweit der Himmel ist, und deine Wahrheit, soweit die Wolken gehen.
6 Deine Gerechtigkeit stehet wie die Berge Gottes und dein Recht wie große Tiefe. Herr, du hilfst Menschen und Vieh.
7 Wie teuer ist deine Güte, Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel trauen!
8 Sie werden trunken von den reichen Gütern deines Hauses, und du tränkest sie mit Wollust als mit einem Strom.
9 Denn bei dir ist die lebendige Quelle, und in deinem Licht sehen wir das Licht.
10 Breite deine Güte über die, die dich kennen, und deine Gerechtigkeit über die Frommen.
11 Lass mich nicht von den Stolzen untertreten werden, und die Hand der Gottlosen stürze mich nicht,
12 sondern lass sie, die Übeltäter, daselbst fallen, dass sie verstoßen werden und nicht bleiben mögen.
(Übersetzung nach Martin Luther)
1 Von David, dem Knecht des HERRN, vorzusingen. 2 Es sinnen die Übertreter auf gottloses Treiben im Grund ihres Herzens. Es ist keine Gottesfurcht bei ihnen. 3 Und doch hat Gott den Weg vor ihnen geebnet, um ihre Schuld aufzufinden und zu hassen. 4 Alle ihre Worte sind falsch und erlogen, verständig und gut handeln sie nicht mehr. 5 Sie trachten auf ihrem Lager nach Schaden und stehen fest auf dem bösen Weg und scheuen kein Arges.
6 HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen. 7 Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes und dein Recht wie die große Tiefe. HERR, du hilfst Menschen und Tieren. 8 Wie köstlich ist deine Güte, Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben! 9 Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses, und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom. 10 Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht.
11 Breite deine Güte über die, die dich kennen, und deine Gerechtigkeit über die Frommen. 12 Lass mich nicht kommen unter den Fuß der Stolzen, und die Hand der Gottlosen vertreibe mich nicht! 13 Sieh da, sie sind gefallen, die Übeltäter, sind gestürzt und können nicht wieder aufstehen.” (Psalm 36)
(Übersetzung nach der Einheitsbibel)
Predigt
von Ewald Rumpf am 7. Juni 2009 in der Karlskirche zu Kassel
1. Eine dringliche Frage stellt sich:
Wie ist die die Güte Gottes in Anbetracht der Gräuel, die es in der Welt gibt, zu verstehen? Ist der Psalmist blind gegenüber dem Unheil, das es in der Welt gibt.? Ist er realitätsfremd?
Nein, keinesfalls. Auch der Psalm fängt nicht damit an, dass die Welt gut sei. Im Gegenteil ist anfangs die Rede vom gottlosen Treiben, von Schuld und bösem Trachten.
2. Es gibt unabwendbare Übel,
die mit der Güte Gottes nicht vereinbar scheinen.
1. Schuld und gottloses Treiben der Menschen sind nicht allein die Übel, welche die Welt besitzt. Es gibt viel Leid, das durch Menschen hervorgerufen wird, wie Hass, Rache, Eifersucht, Vergeltung, Neid, Machtgier und Kriege. Diese vom Menschen willentlich erzeugte Böses fällt unter die Kategorie des malum morale, des moralisch Bösen.
2. Wir tun Böses auch wenn wir nicht Böses bezwecken. Allein die Verteidigung des eigenen Leben, die Verwirklichung eigener Interessen und Begierden benachteiligt schon Belange anderer Menschen.
3. Die Diskrepanz zwischen dem Wunsch und Erfüllung ist ein Übel, das jedes Kind und jeder Mensch erfahren muss. Ohne Verzicht und Frustration ist kein menschliches Leben denkbar. Dieses Leid ist existentiell verankert.
4. Die menschliche Unvollkommenheit ist ein spürbares Übel. Wir sind gebrechlich, verletzbar, kränkbar und krankheitsanfällig
5. Im Lebenskampf vieler, vielleicht aller Lebewesen um Nahrung, Revier, Fortpflanzung und Brut ist Welt mit Konflikten und Leid konstituiert.
6. Es gibt Naturkatastrophen, die von keinem Menschen verursacht worden sind
7. Die unaufhörliche Veränderung des Seins in Evolution und Tod zieht Zerstörung und Leid nach sich.
Das Leben ist demnach mit Leid und Bösem metaphysisch, physisch und moralisch durchsetzt.
Mit Leibniz ließe sich sagen dass es das
Malum metphysicum (die Unvollkommenheit des Seienden)
Malum physikum (Das Leiden von Menschen und anderen empfindungsmäßigen Lebewesen) und das
Malum morale (das beabsichtigte Böse)
Gäbe.
3. Die Gegnüberstellung von Gottes Güte und dem Leiden in der Welt berührt das klassische Theodizee-Problem:
Es gibt einen Gott. Dieser ist allmächtig, allwissend und allgütig.
Das Allgütige schließt ein, dass Gott nichts Schlechtes und nichts Böses bezweckt oder zulässt. Die allmächtigkeit schließt ein, dass Gott alles Leid und Böse vermeiden kann und die allwisswenheit schließt ein, dass Gott die Welt so einrichten könnte, dass Leiden und Böses nicht vorkommen.
Diese Aussagen sind nicht vereinbar mit der Tatsache, dass Leid und Übel allerorten existiert.
4. Es gibt zwei Formen der Weltbetrachtung:
Eine objektive; in der die geschichtlichen Abläufe des Weltgeschehens mit seinen Kriegen, Grausamkeiten, Machtergreifungen und Unterdrückungen registriert und als Reportage von Ereignissen wiedergegeben werden. Naturbedingte Verwüstungen und Katastrophen werden statistisch erfasst und wissenschaftlicher ausgewertet. Der Inhalt von Geschichtsbücher, Zeitungen und wissenschaftlichen Abhandlungen sind der Prototyp solcher Kenntnisnahme von der Welt.
Die andere Form der Weltbetrachtung ist eine individuelle: Wir entdecken die Gunst, unter der wir geboren sind, die Liebe, die wir von unseren Eltern erfahren haben und das Glück, das uns gegenwärtig widerfahrt. Wir werden gestimmt von diesen postiven Erfahrungen und erleben immer wieder dankbar die Glücksumstände, die uns widerfahren.
Gegebenenfalls werden wir eines Unglücks gewahr, das uns ereilt hat.
Da aber jedes Ereignis erst in seiner Interpretation zur Realität wird, können wir das persönlich erfahrene Übel im Sinne einer individuellen Weiterentwicklung und geistig-spirituellen Reifung deuten. Wir gehen weiter in der Interpretation: Was für einen Menschen Glück bedeutet, kann für den anderen ein Übel darstellen. Ergattern wir z.B. einen gesellschaftlich angesehenere Posten, ist er für einen Mitbewerber verloren. Das persönlich erfahrene Übel ist objektiv und subjektiv gesehen relativ, weil es einer persönlichen Sinndeutung unterliegt.
5. Das Theodizee-Problems kann nur aus individueller Erfahrung gelöst werden,
indem die Güte Gottes als persönliches Erfahrung erlebt wird. Es gibt Parallelen zwischen der Frömmigkeit und dem kindlichen Erleben. Diese Parallele wird in Psalm 103 ausgesprochen: Wie ein Vater sich über seine Kinder erbarmt, so erbarmt sich Gott über die. so ihn fürchten. Ein Kind gerät in Not. Es läuft zu seinem Vater, um Schutz zu suchen. Es wird ihm dieser Schutz gegeben. Was erlebt das Kind dabei? Es erfährt durch den Schutz absolute Geborgenheit. Ich betone „absolut” und eben keine relative, weil es aus dem aktuellen Notzustand in eine unangezweifelte Sicherheit gerät. Das Erleben des Kindes ist ganzheitlich: Es fühlt sich total geborgen und absolut gesichert. Das Kind wird bei vielen solch tröstender Erfahrungen den Vater als allmächtig empfinden, es wird ihn als grundlegend gütig und beschützend erleben. Einem in Liebe erzogenen Kind mit solchen Erfahrungen wird auch künftig die Welt nicht bedrohlich und übel erscheinen, sondern als lebenswert und schön. Seine ganze Einstellung zur Welt wird grundsätzlich positiv und optimistisch sein, und dieser so aufgewachsene Mensch wird viel mehr Lebensgunst erfahren, als jener, der aufgrund liebloser Erziehung pessimistisch und misanthropisch geworden ist. Wenn wir in der Lage sind, diese kindliche Erfahrung auf die religiöse Ebene zu heben, dann können wir mit dem Psalm mitsingen: Wie köstlich ist deine Güte, Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben!
6. Das scheint auch die Einstellungen des Psalmensängers zu sein.
Auch er hat die Erfahrung gemacht, dass ihm in seiner Not geholfen worden ist, sei in der Kindheit von den Eltern, sei es in seiner religiösen Sicht von Gott. Er kennt zwar die Übel der Welt, wie er sie anfangs im Psalm auch benennt, aber er weiß sich im Schutz dessen, der für ihn allmächtig und gütig ist, der ihn aus allen Notlagen befreit hat und befreien wird. In seinem Erleben ist damit die Güte Gottes so weit wie der Himmel reicht. In anderen Übersetzungen steht für das Wort Güte Gnade. Auch in dem Psalm 103, 11 gibt es die sinngemäß gleiche Stelle:Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt der Herr seine Gnade walten über die, so ihn fürchten. Die Gande wird also dnen zuteil, die Gottes Gebote halten.
7. Solch eine optimistische Einstellung behindert nicht eine richtige Einschätzung dessen, was in der Welt objektiv geschieht, aber sie verhindert, dass das Negative als unabwendbar erscheint. Im Gegenteil, es erweist sich als überwindbar, als zu bewältigen. Wohl dem, dessen Hilfe Gott ist, dessen Hoffnung auf Gott, seinem Herrn stehet. (Psalm 146, 5) Der Glaube an die individuelle Hilfe Gottes führt zu der Gewissheit, dass Gott die Niedergschlagenen aufrichtet (Psalm 146,8) Es werden neue Perspektiven der Konfliktlösung und Selbstentwicklung gefunden.. Es wird von Reichtum und Fülle in einem geistigen Sinne gesprochen. Worte von Mystikern, also Menschen, die Gott erlebt haben, sind voll solcher herrlichen Erfahrungen. Symeon schreibt in seine Liebesgesängen an Gott um ca. 1000 n. Chr. :
„Mich liebt er, der nicht in dieser Welt ist. Und inmitten meiner Zelle sehe ich ihn, der außer der Welt ist. Auf meinem Bette sitze ich, und weile außer der Welt. Ihn aber, der ewig ist, sehe ich und rede mit ihm und wage zu sagen: Ich liebe, denn er liebt mich, Ich nähre mich von der Betrachtung, ich kleide mich darein; mit ihm vereint übersteige ich die Himmel.”
Und gleichermaßen mystisch klingt es in unserem Psalm:
Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses, und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom.
8. Die Hilfe selbst unterliegt einer eigenen Deutung.
Die Not, in die ein Mensch gerät, wird oft nicht unmittelbar abgewendet, weder durch seine Bemühungen noch durch das Gebet zu Gott. Erst eine spätere Betachtung der durchgestandenen Situation kann dazu führen, dass der Menschen die damalig erlebte Not als einen notwendigen und positiven Wendepunkt in seinem Schicksale interpretiert. Das schlimme Ereignis wird nachträglich unter dem Gesichtspunkt einer Wendung zum Guten, also der Güte Gottes gedeutet. So hatte ich einige Semester einen Studenten, der von seiner Blindheit gesprochen hat, die er durch einen nicht verschuldeten Unfall mit 18 Jahren erlitten hatte. Dieses Ereignis habe ihn aus einem oberflächlich sinnlosen Leben in eines mit tiefer Bedeutung und Erfüllung gebracht. Ich war zutiesf gerührt und beschämt über solch eine Mitteilung. Um wie viel seelenstärkender ist solche eine Einstellung als die Resignation und Aufrechterhaltung einer Klage über erlebtes Übel oder Unrecht. In diesem Sinne kann der Psalmendichter sagen: „Gottes Gerechtigkeit steht wie die Berge und seine Treue ist wie die große Tiefe.” Es geht nicht um eine Gerechtigkeit im Sinne materieller Gleichheit sondern um die Lebensqualität, die wir für eine befriedigende und innerlich glückliche Existenz brauchen.
10. Wie wird Gottes Güte wirksam.
Die Welt ist nach einem Prinzip geschaffen, das sich unserer moralischen Beurteilung entzieht. Gott ist nicht einzugrenzen in die moralischen Vorstellungen des Menschen. Der Mensch kann und muss sich selbst einer Moral unterstellen, die er sozial oder individuell erarbeitet. Tiere können sich nur solchen moralischen Prinzipien unterordnen, die instinktiv in ihnen angelegt sind, wie z.B. Aggressionshemmung, Brutpflege und Fürsorgeverhalten für Tiere des eigenen Rudels, gegebenenfalls auch für den Menschen, wenn sie mit ihm zusammen leben. Ich erwähne die Tiere, weil sie auch in diesem Psalm erwähnt werden, was leider selten in der Bibel geschieht. In Psalm 36 haben die Tiere ebenfalls Anteil an der Güte Gottes. Denn der „Herr hilft Menschen und Tieren”. Auch sie können Gottes Wirken in ihrem Geschick als schützend, gütig und allmächtig erleben, wenn wir Menschen sie als Gottes Geschöpfe gleichermaßen achten und mit Würde belegen, wie wir es als moralische Verpflichtung allen Menschen gegenüber tun. Wir als Menschen tragen die Verpflichtung, Gottes Güte auf die Welt zu übertragen, die unserem Verstand zur Gestaltung übergeben worden ist. Die Welt ist des Menschen Garten, in dem er das Paradies oder die Hölle schaffen kann, je nach seiner moralischen und ethischen Grundgesinnung. Denn welche vom Geist Gottes geleitet sind, die sind Gottes Kinder (Römer 8, 14) Wenn wir uns so als Ebenbild Gottes verstehen, dann soll auch Gottes Güte durch uns wirken. Dieses kann als Mitleid, Mitgefühl und Hilfe allen Lebewesen zufließen, die in unserem Lebensfeld einbeschlossen sind.
7. Die Hinwendung zu Gott führt zu einer Erlösung.
Die Kommunikation zwischen Gott und dem Beter wird zu einer Beurteilung der Welt. Der Sinn des eigenen Lebens wird in einer anderen Weise erschlossen, als dadurch, dass die Übel der Welt in einer Reportage aufgenommen werden. Er wird offenbar darin, dass wir trotz des Übels in der Welt Gottes Güte erfahren.
Leiden, Schuld und Tränen schreien nach realer Überwindung des Übels. Erst die Einheit von Schöpfung und Erlösung gibt eine haltbare Antwort auf die Frage der Theodizee, die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes in seinen Werken. Es ist unsere Beziehung zu Gott, die eine wirklich befreiende Antwort auf diese Frage zu geben vermag. Es ist Sein Handeln an uns ganz individuell und das Leben und der Tod Jesu Christi. Leid zu erfahren ohne Verbitterung, ohne Rache am Peiniger und ohne Vernichtung des Feindes, ja in verzeihendem Verständnis an dem, der uns Böses tut, ist das erlösende Vorbild.
Es gibt unzählige Berichte von Menschen, die Erlösung erfahren haben, die durch einen Engel gerettet, durch das Gebet gesund geworden sind und durch die Zuwendung zu Gott eine Kehrtwendung aus der Asozialität in eine achtenswerte Integration in die Gesellschaft gemacht haben. Es gibt Offenbarungen himmlischer Art, Gnadenerfahrungen, die alles an Güte übersteigen, was menschlich vorstellbar ist.
So erzählt ein Mann (Ian McCormack, Neuseeland, Qelle Internet) , als er sich nach einem Unfall in einem todesähnlichem Zustand befand: “Gott ist Licht und keine Finsternis ist in ihm. (1. Joh. 1,5).” Nie hatte ich in der Bibel gelesen und wußte nicht, daß dies eine Stelle daraus ist. Plötzlich wurde mir bewußt, daß ich mich in der Gegenwart Gottes befand. Er weiß, was ich denke, noch bevor ich es ausspreche. Er muß alles wissen, was ich im Leben falsch gemacht habe. Ich fühlte mich ihm ausgesetzt und wollte wieder zurück in die Finsternis, wohin ich gehörte. Als ich rückwärts gehen wollte, durchflutete mich eine Welle von Licht – es war eine unbeschreibliche Liebe. “Wie konnte Gott mich lieben? Ich hatte nichts für ihn übrig gehabt mein Lebenswandel war äußerst locker ich war auch kein guter Mensch. Egal, was ich sagte, die enorme Liebe floß über mich, und ich begann, hemmungslos zu schluchzen. Es war so überwältigend – ich wußte, er hatte mir vollständig verziehen und akzeptierte mich so, wie ich war.”
Das führt zu der Überzeugung von der Güte und Allmächtigkeit Gottes, und der Offenbarung, die der Psalmist in die Worte kleidet: Denn bei Gott ist die Quelle des Lebens, und in seinem Lichte sehen wir das Licht.